KASIMIR UND KAROLINE

Von Ödön von Horváth
Theater Bonn
Premiere: 27. September 2012


Inmitten des ausgelassenen Jahrmarktstreibens auf dem Münchner Oktoberfest stehen zwei Menschen, denen ihre Liebe abhanden gekommen ist. Ein Zweifel hat sich in ihre Herzen gefressen. Die Ursache ist: Kasimir hat seine Arbeit als Chauffeur verloren. Und jetzt fragen sich die beiden, ob Kasimir damit auch an Wert eingebüßt hat. Ob er noch gut genug ist für seine Braut, die Büroangestellte Karoline. Denn sie erkennt genau, dass solch ein angeschlagener Mann in unsicheren Zeiten kein Vorteil ist. Und so trennen sich die beiden, ziehen allein weiter über das Oktoberfest, auf der Suche nach einem Vergnügen oder einer lohnenden Partie oder einem Rausch, der das Vergessen bringt. Karoline sieht die Sache nüchtern: „Das Leben ist hart und eine Frau, die wo was erreichen will, muss einen einflussreichen Mann immer bei seinem Gefühlsleben packen.“ Unterdessen umschleicht Kasimir seine verlorene Braut, ein Wolf mit wundem Herzen. Doch die beiden können sich nicht mehr erreichen und begegnen sich wie Planeten, deren Anziehungskräfte verloren gegangen sind und die nun haltlos durch das All trudeln.

Horváth fragt: Was hält Menschen zusammen, was macht ihren Wert und ihre Würde aus, wenn alles zusammenzubrechen scheint, wenn alle Beziehungen durchdrungen sind vom Prinzip der Ökonomie? Zwischen Gier und Melancholie, Vergnügungssucht und Einsamkeit, Illusion und Desillusion, Gewalt und Glückverlangen stolpern Horváths seelenverwahrloste Figuren durch ein Leben, dem sie fremd und verloren gegenüberstehen.

Kasimir: Falilou Seck
Karoline: Maria Munkert
Merkl Franz: Nico Link
Erna: Nora Buzalka
Schürzinger: Birger Frehse
Rauch: Stefan Preiss
Speer: Rolf Mautz
Maria: Nina Tomczak
Elli: Johanna Wieking
Der Ausrufer / Musiker: Andreas Bittl


Regie: Michael Lippold
Bühne: Julia Ries
Kostüme: Katrin Wolfermann
Musik: Andreas Bittl
Dramaturgie: Christopher Hanf

Theater Bonn / Thilo Beu

PRESSE

„Eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor“, so der Dichter. Genau so hat Michael Lippold es in der Halle Beuel inszeniert. Er hebt die Einsamkeit der Figuren im Jahrmarktstaumel hervor, konzentriert sich auf die Dialoge, die er oft weit nach vorne an die Rampe holt und in ihrer monologischen Substanz beleuchtet, während im Hintergrund das Getriebe innehält. (...) Poetische Momentaufnahmen. Alles dreht sich auf der Bühne von Julia Ries, ab und zu hüpfen einige sogar in ein tiefes Trampolin-Loch im Vordergrund und federn wieder empor wie Stehauf-Puppen. Hoch hinaus will die hübsche Karoline. Maria Munkert spielt wunderbar klar und eigensinnig die selbstbewusste, berufstätige junge Frau, die vom Leben etwas haben will. (...) Falilou Seck spielt den verstörten Verlierer sehr sensibel. (...) Sein Ernst grenzt ans Lächerliche, seine Verzweiflung schafft aber ein solides Bindeglied zur Wirtschaftskrisen-Welt des 21. Jahrhunderts. Lippolds Regie braucht dafür glücklicherweise weder Handys und iPads, sondern nur feinste Theatermittel. Dass die Liebe nimmer aufhört, wissen wir aus der Bibel. Sie hört jedoch auf, wenn ein Kasimir kein Geld mehr hat für seine Karoline. Allerdings so melancholisch lebendig, dass die Aufführung Denkschichten aktiviert und entsprechend bei der Premiere gefeiert wurde. (Bonner Generalanzeiger)

Michael Lippolds Inszenierung bleibt in Sprache und Kostüm nahe am historischen Setting. Wie die Wiesn selbst suggeriert Julia Ries’ Bühne mit Rutsche und wackeligen Drehbühnen, man könne Erwachsenen einen Spielplatz bauen und alle Sorgen wären vergessen. Die Amüsierwilligen sind alle Typen ihrer und unserer Zeit: der arbeitslose Chauffeur Kasimir (Falilou Seck), die nach höherem strebende Karoline (Maria Munkert), die Kleinkriminellen Franz und Erna, die billigen Mädchen und die reichen alten Säcke. Vom Abbau der Standesschranken wird gefaselt, doch treten sie deutlicher denn je hervor, wenn der Chef im Laufe der hysterischen Feierei seinem Angestellten für den Preis einer Beförderung die Freundin abkauft. Lippold und seinem Ensemble gelingt eine beeindruckende Ballade von der Kaputtheit der Verhältnisse. Als letzter Anker bleibt nur leiser Humor. (Süddeutsche Zeitung, Cornelia Fiedler)

Schwer fallen die Sätze zwischen dem Paar, und betont sperrig artikulieren die Schauspieler Ödön von Horváths lakonische Kunstsprache. Es scheint, als müssten in der Inszenierung von Regisseur Michael Lippold die Worte erst dem Schweigen abgerungen werden – einer tiefen Depression, die alle Figuren erfasst hat. So folgt der Wirtschafts- die Seelenflaute. Auch der Jahrmarkt von Bühnenbildnerin Julia Ries ist kein rechter Vergnügungsort. (...) Eine Rutsche an der Seite führt in ein schwarzes Loch. Und ein bösartiger Conférencier kommentiert und besingt das unausweichliche Scheitern der Figuren mit sardonischer Lust. (...) Das wahre Unglück, so lehrt Michael Lippolds sehr ernsthafte (...) Interpretation, liegt nicht im Streit, sondern im Pragmatismus einer Karoline. Großartig, wie Schauspielerin Maria Munkert immerzu mit taxierenden Blicken ihr jeweiliges Gegenüber abcheckt. Sie ist kein trutschiges Püppi, sondern eine kühl-spöttische Karrieristin, die versucht, die Männer für ihre Zwecke zu manipulieren. Am Ende geht ihre Strategie nicht auf. Aber was ihr bleibt, ist die Hoffnung auf eine neue Liebe. Denn in Ökonomie-besessenen Zeiten, so zeigt diese melancholisch-leise Horváth-Interpretation, braucht es zur Selbstbehauptung eben nicht nur Intelligenz, sondern auch Idealismus. (WDR 5 Scala)