URAUFFÜHRUNG

ZU SPÄT! ZU SPÄT! ZU SPÄT!

Ein Überforderungsprojekt von Lothar Kittstein und Michael Lippold
Theater im Bauturm / Theater im Pumpenhaus / Rottstr 5 Theater
Premiere: 8. November 2013


Fünf Frauen und Männer treffen aufeinander. Sie kennen sich nicht. Was sie verbindet: Sie sind die Heilsleute unserer Zeit – anerkannte Coaches, die andere trainieren, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Jetzt haben sie dieses Fortbildungsseminar gebucht. Höhepunkt ihrer Ausbildung zum Work-&-Life-Coach. Denken sie. Doch als ihr eigener Dozent nicht erscheint, zerbricht die vermeintliche Sicherheit. Die Experten der Selbstbefragung und Profis der Selbstoptimierung verlieren ihre Antworten und werden zurückgeworfen auf ihr eigenes Ich. Als auch noch eine von ihnen verschwindet, droht die Situation endgültig zu eskalieren. Gibt es diesen Coach, auf den alle warten, überhaupt? Ist alles eine Prüfung? Oder sind wir etwa allein? Und wer hilft uns dann noch?

Zu spät! Zu spät! Zu spät! spürt einem der größten Phänomene unserer Zeit nach: dem andauernden Gefühl der Überforderung und der Hoffnung, mit professioneller Hilfe diesem Druck beizukommen. Dem Druck des Alles-schaffen-Müssens und Alles-erreichen-Könnens. Dem Druck der andauernden Selbstoptimierung. Denn wenn du alles sein und erreichen kannst – warum sollst du es dann nicht auch schaffen!? Bei Sartre waren die Hölle die Anderen. Heute ist die Hölle man selbst auf der Suche nach dem optimierten Ich. Aber in was steck’ ich da eigentlich? Ist das noch mein Leben? Wohin läuft es? Und soll es das schon gewesen sein?

Am Anfang des Theaterprojekts stand selbst ein Coaching. Die Proben begannen für die Schauspieler als Coaching-Seminar, geleitet von echten Coaches. Aus den Ergebnissen, Recherchen, privaten Lebensläufen der Darsteller und Improvisationen entstand ein Theaterstück, das der Dramatiker Lothar Kittstein verfasste und das den realistischen Charakterstudien surreale (Alb-)Traumphantasien gegenüber stellt. Bewusst stellt das Stück nicht die Gruppe der Klienten ins Zentrum, sondern legt den Fokus auf die Coaches selber: auf jene, die wissen, wie unsere Welt tickt, und die den Ausweg kennen sollten. Zu spät! Zu spät! Zu spät! erkundet die Coaching-Paralleluniversen unserer Gesellschaft, witzig und mit groteskem Biss. Die Inszenierung zeigt aber auch, welche tiefgreifenden Bedürfnisse hinter Stress und Überforderung lauern, wenn das Hamsterrad einmal stillsteht. Die Frage, die sich dabei stellt: Sind wir überhaupt noch in der Lage, das Rad anzuhalten? Und wenn ja, wie lange halten wir das aus, bevor wir erneut anfangen zu rennen.


Nominierung Kölner Theaterpreis 2013

Inszenierung des Monats (Kölner Theaterzeitung AKT)

Mit
Sonja Baum / Doris Dexl
Karin Kettling
Karin Moog
Bernhard Bauer
Tobias van Dieken


Regie: Michael Lippold
Text: Lothar Kittstein
Bühne und Kostüme: Sarah Bernardy
Video: Freya Hattenberger
Dramaturgie: Kerstin Ortmeier


THEATER IM BAUTURM / MEYER ORIGINALS

PRESSE

Was wie eine absurde Komödie anfängt, wird in den folgenden knapp 100 Minuten zunehmend vom dunklen Strom eines existenzialistischen Dramas unterspült. (...) Dass die Persönlichkeitstrainer (...) nun ihrerseits hilflos dastehen, birgt Komik wie Tragik. (...) Wenn die Stimmung immer mehr der in einem Film von David Lynch ähnelt, gelingt die wirkungsvolle Spiegelung einer Gesellschaft im Dauerstress und Optimierungswahn. (...) Ein starker Theaterabend, der mit scharfsinnigen Beobachtungen und einem überragenden Ensemble glänzt. (Kölner Stadt-Anzeiger)

Kittstein und Lippold, der auch Regie führte, legen den Finger auf eine zeitgemäße wunde Stelle und drücken schön fest drauf. Genug ist nie genug – man sollte immer noch schneller, attraktiver, glücklicher, gesünder, fitter oder erfolgreicher sein. (...) Zwischen beweglichen weißen Stellwänden (Bühne Sarah Bernardy) schießen die fünf in wechselnden Konstellatonen pointierte Phrasen ab und geraten dank angewandter Selbstbefragungsübungen tief in eine Offenbarungsspirale. (...) Die Tonlage changiert geschickt zwischen Satire und Ernst, die gestressten Seelenprofis haben erheblichen Unterhaltungswert, ohne als Lachnummern demaskiert zu werden. (Kölnische Rundschau)

Mit Zu spät! Zu spät! Zu spät! bringt das Theater im Bauturm eine bitterböse Satire über das Geschäft mit der Sucht nach Selbstverwirklichung auf die Bühne. (...) Lothar Kittstein (entwickelt) seine Geschichte und die handelnden Personen glaubwürdig, stattet sie mit Individualität aus, ohne sie zur Karikatur werden zu lassen. Das Stück dürfte nach der Uraufführung in Köln seinen Weg durch die deutschen Theater machen. Michael Lippold hat mit viel Schwung inszeniert. Das Bühnenteam spielt mit ebenso viel Schwung und Glaubhaftigkeit, gibt jeder Figur die nötige Persönlichkeit. (Köln Nachrichten)

Ein Alptraum mit Knalleffekt. Zu spät! Zu spät! Zu spät! ist eine bittere Farce über Karrieredenken, Arbeitsstress, Ich-Bezogenheit und die Konjunktur der „Coaching“-Industrie. (...) Hier treffen die Heilsversprecher auf der Bühne zusammen, zugespitzte Typen, genau beobachtet, konsequent entwickelt, glaubhaft in jeder der kurzen Szenen. (...) Autor Lothar Kittstein weiß, wovon er schreibt, arbeitete er doch selber in einer Unternehmungsberatung. Zu spät! Zu spät! Zu spät! ist eine bitterböse, witzige, detailgenaue Beschreibung der Glückversprechungs-Industrie in einer Ich-Gesellschaft, von Michael Lippold rasant in Szene gesetzt. Ein Glücksgriff, den das Theater im Bauturm hier getan hat. (Koeln.de)

Was die wahre Stärke des Stücks ist, ist die schauspielerische Leistung. Die fünf Schauspieler schaffen es in den 100 Minuten, glaubhafte, packende Charaktere auf der Bühne zu erschaffen, die trotz spärlichen Bühnenbilds (fünf Wände, stets neu zusammengestellt) nicht langweilen lassen. Sei es die scheinbar allwissende Tarotkarten-Coachin (Karin Moog), der genervte Handyfetischist (Bernhard Bauer) oder die schlichtweg überragend gespielte Alleskönnerin (Karin Kettling): Allemal sind sie einzigartig und pointiert gezeichnet. (Ruhr Nachrichten)

Lippold gelingt eine tolle Inszenierung, die sich gut einrichtet zwischen Satire und Krimi. Die Figuren geraten lebensnah. Immer wieder schafft die Inszenierung tolle Bilder. Freya Hattenberger hat atmosphärische Videoarbeiten beigesteuert, die auf fünf beweglichen Bühnenelementen prächtig funktionieren. (WAZ)

Für ihr Projekt schickten Dramatiker Lothar Kittstein und Regisseur Michael Lippold die Schauspieler in ein echtes Coaching. Aus den Ergebnissen, Improvisationen, Biografien der Darsteller und Recherchen entstand ein Theaterstück. Das driftet zwar bisweilen ins Mysteriöse, spiegelt aber gut die Undurchschaubarkeit der Selbstoptimierungs- und Stressgesellschaft. Gelungener Mix aus Groteske und Drama mit herausragenden Schauspielerleistungen und hintersinnigem Text. (WDR 5 Scala)

Dabei trifft das Thema dieses Abends doch geradezu ins Herz der gehetzten Gesellschaft, die schon bei Michael Endes Kinderbuch „Momo“ so visionär beschrieben wurde: Vermeintlich gesparte Zeit löst sich in total gehetztes Unglück auf, vor lauter Stress verpasst man das Leben. Der Tod, diese finale Zeitfalle, kommt umso schneller, je effizienter man ihm entgegenjagt. Und genau das ist, was der Inszenierung von Michael Lippold dann doch noch eine unheimliche, tiefere Wahrheit verleiht. Am Anfang blinzelt die Sonne durch die Blätter, projiziert auf fünf Leinwände – dort im Wald müsste man sein, fern von allem. Doch der Sehnsuchtsort ist auf Video auch nur ein trauriges Abbild und eine falsche Vorstellung von Ruhe und Glück. Später kraxelt die Tarotlegerin verzweifelt und angstvoll durchdie projizierten Bäume – die ersehnte Natur und Ursprünglichkeit richtet sich feindlich gegen sie. Schließlich liegt sie unter Blättern wie eine Tote – oder so, als sei sie endlich doch zum echten Meditieren gekommen. Ruhe gibt es nur zum Schluss. An irgendwas ist jeder hier vorbeigerannt. Immer bedrohlicher rollen die fünf Leinwände, die das schlichte, aber effektvolle Bühnenbild von Sarah Bernardy bilden, auf die Todgeweihten zu, die auf einmal unsere Stellvertreter sind. Und damit greift uns das geschickte Geplappere dann doch noch an: Denn wenn wir nicht irgendwas ändern, werden wir irgendwann vom Leben zerquetscht. (AKT Kölner Theaterzeitung)

Zu spät! Zu spät! Zu spät! ist ein Stück über den Sinn und Unsinn einer ganzen Branche von Trainern und Lebensverbessern, die oft selbst mit ihrem Dasein kaum zurecht kommen und vielleicht jede Menge „Leichen im Keller“ haben. Und den Leuten beizubringen glauben, ständig hinter einer optimierten Zeit hinterher laufen und das eigene Leben maximiert gestalten zu müssen, obwohl man trotzdem immer zu spät kommt. Und was auch durch Coaching nicht besser wird, wenn die Erkenntnis nicht von selbst und von innen kommt, sondern man diese glaubt per Seminar kaufen zu können. Die Akteure hatten vor der Konzeption des Stückes, an dem sie aktiv mitgewirkt haben, selbst ein Coachingseminar besucht; herausgekommen ist eine blendende schauspielerische und vor allem überzeugende Leistung. So manch einer im ausverkauften Haus dürfte sich im Stillen an die eigene Nase gefasst haben, ob nicht auch er selbst im Hamsterrad hängt. (Theater Pur)

Ein Drama, mit dem der Autor den Ton der Zeit trifft, wenn er Seelenfitnesstrainer auf die Bühne bringt, die in die Natur flüchten, um schmerzhaft auf sich selbst zurückgeworfen werden. (...) Regisseur Michael Lippold gelingt es, auf der effektvoll ausgestatteten Bühne aus verschiebbaren Wänden und Videoprojektionen (Sarah Bernardy/Freya Hattenberger) die Spannung bis zum Ende zu steigern. Hält Kittsteins satirisches Stück in der ersten Hälfte viele groteske Momente bereit, spitzt sich die Situation zu, als sich die Teilnehmer gegenseitig entlarven. Traumatische Erlebnisse und verletzte Gefühle treten zutage. Sind die Figuren auch beruflich etabliert, so ist ihr Privatleben vom Job zerfressen. Michael Lippold führt mit seinem famosen Ensemble die auf Leistung getrimmte Gesellschaft sich selbst ausbeutender, beständig „optimierender“ Individuen ad absurdum. Mal witzig und überzogen, mal schmerzhaft werden persönliche Grenzen von Menschen offenbar, die allzu oft negiert werden. Ein prägnantes, hochaktuelles Stück, in dem sich jeder auf seine Weise wiedererkennen kann. (Westfälische Nachrichten)

EINE PRODUKTION DER ZU SPÄT! GBR
IN KOPRODUKTION MIT THEATER IM BAUTURM KÖLN, ROTTSTR 5 THEATER BOCHUM, THEATER IM PUMPENHAUS MÜNSTER
GEFÖRDERT DURCH KULTURSTIFTUNG MATRONG SOWIE DAS MINISTERIUM FÜR FAMILIE, KINDER, JUGEND, KULTUR UND SPORT DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN