PEER GYNT

Nach Henrik Ibsen, unter Verwendung eines Interviews mit der ghanaischen Autorin Ama Ata Aidoo und eines Abgesangs auf den westlichen Dramenkanon von Anne Rietmeijer
Regie: Dušan David Parízek
Online-Premiere: 24. April 2021
ROLLEN: AASE / HERR VON EBERKOPF

Ich. Ein schmales Wort, ständig verfolgt, begehrt, aufgeladen, konstruiert, determiniert. Und immer auf der Flucht. Wer ist das: Ich?

Peer Gynt, einer der prominentesten (Traum-)Reisenden der europäischen Literatur, ist ein unsterbliches altes Kind, Legenden entsprungen. Von Henrik Ibsen wird er durch Zeiten und Welten geschickt, um sich selbst, seinen Kern zu finden. Die Flucht, die Peer von seinem norwegischen Dorf aus antritt, dem sozialen Nichts davoneilend, um endlich ein Jemand zu werden, Kaiser am besten, führt ihn zu Trollen und Kranken, zu Affen und Sklaven, durch die Wüste und aufs Meer. Einen Lebensentwurf nach dem anderen streift er ab wie die Schlange die Häute, nach jedem Scheitern ersteht er an neuem Ort wieder auf. Ein ruheloser Weltdurchquerer, (fast) unsterblicher Ego-Shooter ist er, festgelegt nur in seinem unverbrüchlichen Credo: Um mich muss es sich drehen, mein ganzes Leben. Seine Reise – ein großer Budenzauber, ein verzweifeltes Erlebnis-Zapping, eine Ansammlung von hybriden Ich-Entwürfen und Gesten des Menschenverschleißes, die um ein schwarzes Loch kreisen: Wer ist Peer?

In Peer Gynt steckt das – männlich geprägte – Prinzip einer marktliberalen Welt, die in jeden Winkel grapscht, alles auf seinen Mehrwert prüft, zum eigenen Vorteil benutzt und dann verwirft. Doch zugleich handelt Ibsens Phantasmagorie von einem sozial Deklassierten, der sich in verschwenderischen Lügen und Wegwerfgesten dem Gesetz seiner Welt anpasst und einen Umweg nach dem andren nimmt, um zur Erkenntnis zu kommen – denn „das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist“ (Heinrich von Kleist).

Der tschechische Regisseur Dušan David Parízek, der zuletzt am Schauspielhaus Bochum Iphigenie nach Euripides und Elfriede Jelinek inszenierte, entwirft mit Peer Gynt eine Studie männlicher soziopathischer Machtstrukturen, aus denen sich ein fehlerhaftes System speist: die Welt, in der wir leben.


MATTHIAS HORN